Ein Interview für die B.Z. mit Privatdozent Dr. Mazda Adli (46), Psychiater und Chefarzt der Fliedner-Klinik in Berlin, erschienen am 26. Juli 2016 in der B.Z. unter der Überschrift „Terror und Amok schüren die gleiche Angst: die Angst vor unvorhersehbaren Untaten“ sowie online.


Ali S. lief vor einem McDonald’s Amok, Mohammed D. zündete seinen Rucksack auf einem Musikfest in Ansbach. Angst macht sich in unserem Alltag breit. Doch die Wahrscheinlichkeit, bei solch einer Schreckenstat ums Leben zu kommen, ist viel geringer, als auf der Straße zu sterben, sagt Privatdozent Dr. Mazda Adli (46), Psychiater und Chefarzt der Fliedner-Klinik in Berlin.

Im B.Z.-Interview spricht er über die Wirkung von Angst und erklärt, was gegen sie hilft.

Wie kann es sein, dass vier einzelne Täter in München, Würzburg, Reutlingen und Ansbach ein ganzes Land in Angst versetzen?

Es ist nachvollziehbar, dass diese Ereignisse für Angst und Verunsicherung sorgen. Es ist aber auch gefährlich, wenn sich die Angst wie mit einem Brandbeschleuniger ausbreitet. Das darf nicht passieren. Genau darauf setzen Terroristen.

Wie funktioniert die Angst vor Terroristen und Amokläufern?

Es ist entscheidend, dass wir terroristische Taten und einen Amoklauf nicht verwechseln. Die psychologischen Wegbereiter zu Terror und zu Amok unterscheiden sich absolut. In der Wahrnehmung vieler Menschen aber fallen Terror und Amok in eine Schublade. Terror und Amok schüren die gleiche Angst: die Angst vor unvorhersehbaren Untaten.

Wie berechtigt ist diese Angst?

Sie ist emotional verständlich, aber ganz rational gesehen, ist sie nicht berechtigt. Nach wie vor ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terrorangriffes zu werden, sehr viel kleiner, als von einem Auto oder von einem Bus überfahren zu werden. In unserer subjektiven Wahrnehmung scheint es nach diesem Wochenende aber anders und genau das ist das Problem.

Wie kann ich mit solchen schrecklichen Taten umgehen?

Es scheint, als ob Terror und Amok überall sind. Diese Wahrnehmung ist aber verzerrt und bildet die Realität nicht ab. Es hilft, sich rationale Gesichtspunkte klarzumachen.

Wie lange wird uns die Angst vor Einzeltätern noch begleiten?

Die Gesellschaft findet einen Weg, mit solchen Ereignissen umzugehen. Dann kommt es zu einer realistischeren Risikoeinschätzung. Die Angst wird in den nächsten Wochen abnehmen.

Welche Rolle spielen Politik und Medien?

Politik und Medien sollten die Angst nicht schüren, sondern sie beruhigen, indem sie realistische Wahrscheinlichkeiten angeben. Die Wahrscheinlichkeit, sich beim Essen zu verschlucken und zu ersticken, ist höher, als von einem Terroristen getötet zu werden.

Wie erkläre ich solche Ereignisse meinen Kindern?

So schwierig, wie es ist, das Phänomen Krieg zu erklären, ist es, die Phänomene Terror und Amok zu erklären. Es ist wichtig, dass die eigene Angst sich nicht auf Kinder überträgt. Wenn Kinder merken, dass sich Eltern ängstlich verhalten, verunsichert sie das. Trotzdem ist es wichtig, ins Gespräch zu kommen, denn Krieg und Terror gehören leider zu unserer Welt dazu. Wenn Kinder Fragen haben, sollen Eltern diese beantworten – und zwar mit sachlicher Wortwahl.

Interview: Sebastian Beug