Deutschland diskutiert über Hartz IV. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (53, SPD) hat sich mit einem solidarischen Grundeinkommen in die Debatte eingemischt. Linken-Vorsitzende Katja Kipping (40) aber will ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg (35) hat beide am Montagabend in das Theater an der Parkaue (Lichtenberg) eingeladen – zur Diskussion Müller versus Kipping.
Müllers Vorstoß eines solidarischen Grundeinkommens kommt an. Dutzende Anrufe, Briefe und E-Mails erhalte er täglich zu dem Thema, so der Regierende. Auch aus dem ganz linken Lager gibt es Avancen. Katja Kipping: „Nicht alle äußern sich so interessant wie Michael Müller.“
Gleich zu Beginn sammelt der Regierende Sympathiepunkte beim Publikum, lobt die aktuelle Hartz-IV-Diskussion. „Die Arbeitsmarktreform hat nie die breite gesellschaftliche Akzeptanz gehabt.“ Und er macht dem CDU-Politiker Jens Spahn (37) eine Ansage: „Einige formulieren es so zynisch wie Herr Spahn und sagen, Hartz IV reicht. Die meinen, es reicht zum Überleben. Das ist mir zu wenig.“
Müller will solidarisches Grundeinkommen
Müllers Alternative: ein solidarisches Grundeinkommen. Langzeitarbeitslose sollen einen unbefristeten Arbeitsvertrag für einen Hilfs-Job bei einem kommunalen Unternehmen erhalten – anders als Ein-Euro-Jobs entlohnt zum Mindestlohn.
Der Clou für Müller: Sie sollen Jobs übernehmen, die bisher liegen bleiben, oder nicht bezahlt werden. Etwa als zusätzlicher Hausmeister, Gehilfe in der Bibliothek oder Babysitter für einkommensschwache Alleinerziehende. Müller: „Arbeit hat einen Stellenwert in der Gesellschaft. Es ist wichtig, eine Aufgabe zu haben.“
Kipping kritisiert: „Davon profitieren nur rund 150.000 Menschen.“ Es seien aber weitaus mehr von Hartz IV betroffen. „Das solidarische Grundeinkommen ist in Bezug auf Grundeinkommen ein Etikettenschwindel“, findet Kipping.
Eingefleischte Fans eines bedingungslosen Grundeinkommens wie Kipping wollen ein Einkommen vom Staat einführen – für alle gleich und ohne Gegenleistung. Das könnten 1050 oder 1080 Euro im Monat sein, finanziert über Einkommens- und Vermögenssteuer, so Kipping. Müller zu Kipping: „Ich sehe die gesellschaftliche Akzeptanz nicht. Egal, was jemand einbringt bekommt er Unterstützung.“
Unterschiedliche Ansätze bei Kipping und Müller
Müller und Kipping fordern beide ein Grundeinkommen, präsentieren aber sehr unterschiedliche Ansätze. Beide wissen aber auch: Die Digitalisierung wird die Politiker zwingen, die Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt zu reformieren.
Seit Jahrzehnten werden immer mehr Jobs in Fabriken von Robotern übernommen; Fließbandarbeiter gibt es kaum noch. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich für die Mittelschicht ab: Steuerfachangestellte oder Finanzbeamte könnten betroffen sein. Ihre Arbeit könnte ein Computer-Algorithmus bald schneller und besser erledigen. Kipping: „Für eine veränderte Arbeitswelt brauchen wir eine Absicherung.“ Müller: „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass Berufsbilder verschwinden werden.“
Der Regierende wird seine Idee mit dem neuen Arbeitsminister Hubertus Heil (45, SPD) besprechen, hat vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits ein erstes Gutachten errechnen lassen. Darin steht im Wesentlichen, dass Müllers Idee finanzierbar ist. Die Forscher empfehlen, das solidarische Grundeinkommen vor der Einführung zu testen, etwa in einer Stadt oder einem Bezirk. Müller versprach dem Publikum in der Parkaue: „Wir sind erst am Anfang der Diskussion.“
Der Beitrag erschien zuerst bei der B.Z.